Friedrich Merz ist Teil des „Zukunftsteams“ von Armin Laschet.
(Foto: picture alliance/dpa)
Friedrich Merz will weniger Neuverschuldung, wünscht sich paradoxerweise zugleich höhere Zinsen. Annalena Baerbock sagt, dem Markt seien die Menschen egal. Im Interview mit ntv.de spricht Ökonom Rüdiger Bachmann über Wirtschaftskompetenz von Politikern, darüber, warum Staatsschulden etwas Gutes sein können, und über die Kraft der Märkte.
ntv.de: Parteien und Politiker jeder Couleur nehmen für sich in Anspruch, Wirtschaftskompetenz zu haben oder sie sprechen das der Gegenseite ab. Häufig wirkt es hierzulande so, als gelte als wirtschaftskompetent, wer das Interesse von Unternehmen im Blick hat. Täuscht dieser Eindruck?
Rüdiger Bachmann: Den Eindruck habe ich auch. Aber nichts könnte falscher sein. Dennoch ist das die Meinung, die auch in der Bevölkerung vorzuherrschen scheint – und übrigens auch bei vielen Journalisten.
Warum ist das so?
Möglicherweise liegt das daran, dass die ökonomische Bildung der Deutschen nicht besonders groß ist. Leider ist Wirtschaft nur in wenigen Bundesländern an den allgemeinbildenden Schulen ein Pflichtfach. Im angelsächsischen Raum käme niemand auf die Idee, "Business" und "Economics" gleichzusetzen oder zu verwechseln. Diese Unterscheidung gibt es im Deutschen allerdings nicht – hier heißt beides "Wirtschaft". Dieses Denken ist fatal.
Wieso ist diese Unterscheidung wichtig?
Ein Beispiel: Aus Sicht eines Unternehmers gibt es nichts Schöneres, als Monopolist zu sein. Ein guter Unternehmer wird danach trachten, eine marktbeherrschende Stellung zu bekommen. So maximiert er seine Gewinne. Wirtschaftspolitisch ist das selbstverständlich nicht erstrebenswert. Verbraucher profitieren von einem gesunden, funktionierenden Wettbewerb. Diese gegenläufigen Interessen zeigen sich etwa in der sogenannten Ministererlaubnis, durch die der Bundeswirtschaftsminister eine Fusion genehmigen kann, obwohl sie das Kartellamt verboten hat. Wenn der Minister stärker von der Unternehmensseite denkt, wird er solche Zusammenschlüsse eher genehmigen. Dieses Denken kann also ganz konkrete Folgen haben.
Trifft das auch bei Schulden zu?
Ja. Auch hier klaffen gesamtwirtschaftliches und einzelwirtschaftliches Denken auseinander. Als Privathaushalt oder Unternehmen ist es völlig rational, irgendwann möglichst schuldenfrei zu sein. Ein Staat hat aber – theoretisch – eine unendliche Lebensdauer und unterliegt völlig anderen Budget-Restriktionen als Privathaushalte oder Firmen. Staatsschulden müssen nicht zwingend zurückgefahren werden. Sie könnten in absoluten Euro-Zahlen sogar immer weiter steigen – sofern der Staat sie bedienen kann und das Bruttoinlandsprodukt stärker wächst als die Schulden. Wenn man die Budget-Restriktionen der "schwäbischen Hausfrau" für den Staat anwendet, ist das keine Frage der wirtschaftspolitischen Präferenzen, sondern objektiv falsch gedacht.
Kommt beim Thema Schulden nicht auch eine moralische Komponente hinzu, die sich beispielsweise im Begriff "Schuldensünder" zeigt?
Im Englischen unterscheidet man zwischen "guilt" für moralische Schuld und "debt" für finanzielle Schulden. In Deutschland wird das vermischt. Auch wenn man diese Etymologie nicht zu weit treiben darf: Schulden haben im privaten Bereich manchmal etwas Anrüchiges und werden als gefährlich angesehen. Allerdings kann das durchaus eine gewisse Berechtigung haben. Schließlich muss man dafür sorgen, dass man am Lebensende seine Schulden losgeworden ist. Das Haus muss abbezahlt werden. Beim Staat gelten aber völlig andere Mechanismen als im Privatbereich. Es ist wenig hilfreich, der Kritik an der Fiskalpolitik eines Staates eine moralische Komponente zu geben. Es ist sogar so, dass man Staatsschulden durchaus auch positiv sehen kann.
Wieso das?
Prof. Rüdiger Bachmann ist Ökonom und lehrt Wirtschaftswissenschaften an der University of Notre Dame in den USA.
(Foto: Matt Cashore/University of Notre Dame)
Das ist bei Privathaushalten übrigens auch so. Stellen Sie sich vor, man würde den Bau des Eigenheims nur aus dem laufenden Einkommen bezahlen. Das wäre furchtbar. Da würde man erst den Keller bauen und dann so lange warten, bis ausreichend Geld für den nächsten Schritt vorhanden ist – und bei jedem weiteren Schritt wäre das genauso. Es würde viele Jahre dauern, bis man endlich in sein eigenes Haus einziehen kann. Die Alternative: Eine Hypothek aufnehmen, das Haus bauen und sofort darin wohnen – und die Schulden dann abbezahlen. Das gilt umso mehr für den Staat. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn er Investitionen ausschließlich aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert. Hinzu kommt: Deutschland genießt eine sehr hohe Kreditwürdigkeit an den Finanzmärkten – Bundesanleihen gelten als außerordentlich sicher und sind sehr liquide. Investoren gieren geradezu danach – und Deutschland kann sich deshalb am Anleihemarkt zu äußerst günstigen Konditionen verschulden.
Friedrich Merz gilt in der Union und bei vielen Wählern der CDU als ausgewiesener Wirtschaftsexperte. Wie beurteilen Sie seine Wirtschaftskompetenz?
Ich vermute, dass sowohl Merz als auch die Partei einem Trugschluss unterliegen und annehmen, dass seine Tätigkeit in Aufsichtsräten ihm wirtschaftspolitische Kompetenz verleiht. Er ist Jurist, er hat keine ökonomische Ausbildung. Das alleine spricht jemandem zwar nicht die Kompetenz ab. Doch in den vergangenen Monaten hat Merz einige Äußerungen gemacht, bei denen man den Eindruck gewinnen konnte, er habe grundlegende ökonomische Zusammenhänge nicht verstanden – etwa beim Begriff der Liquiditätsfalle. Ein anderes Beispiel: Merz sagt, die Zinsen seien zu niedrig. Zugleich lehnt er neue Schulden ab. Wenn er – warum auch immer – höhere Zinsen will, müsste er aber eigentlich für mehr Staatsschulden sein. Es gibt einfache Marktgesetze, die den Zins nach oben treiben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Zinshöhe und Fiskalpolitik. Das Verständnis dafür scheint mir bei Merz etwas unterentwickelt zu sein.
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nennt Merz "das wirtschafts- und finanzpolitische Gesicht der Union". Er werde "auch nach der Wahl die Bundespolitik prägen" …
Ich würde mir von einem wirtschaftspolitischen Aushängeschild einer großen Partei weniger fachliche Schnitzer wünschen. Einzelne Schnitzer können passieren, wir sind alle nicht perfekt und machen Fehler. Aber in der Gesamtschau habe ich den Eindruck, dass man hier durchaus mehr erwarten darf.
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, wird kritisiert, weil sie im Bundestag gesagt hat, dass dem Markt die Menschen egal seien.
Daraus kann man, wenn man will, eine antimarktwirtschaftliche Haltung herauslesen. Ich sehe das eher als eine flapsige, unprofessionelle Formulierung, von denen es in ihrem Wahlkampf ja schon einige gegeben hat. Als Ökonom könnte man sagen: Ja. Der Markt schert sich nicht um Menschen. Und man würde hinzufügen: Und das ist auch gut so. In funktionierenden Märkten spielt es keine Rolle, welche Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder welches Geschlecht man hat, sondern was man kann. Im Idealfall, wenn Märkte hoch kompetitiv sind, kann es sich ein Arbeitgeber oder Wohnungseigentümer nicht leisten, zu diskriminieren.
Aber Diskriminierung findet statt.
Ja. Weil weder Arbeits- noch Wohnungsmarkt so kompetitiv sind und es vielleicht auch nicht sein können. Es gibt dort Diskriminierung, weil viele Faktoren hineinspielen. Genau dafür braucht man Wirtschaftspolitik, die – wenn nötig – eingreift. Das spricht aber nicht grundsätzlich gegen den Markt. Er baut tendenziell Privilegien ab. Hätte beispielsweise bei den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Şahin die Herkunft eine stärkere Rolle gespielt, hätten wir jetzt wahrscheinlich einen hervorragenden Corona-Impfstoff weniger. Der Markt ist janusköpfig, man kann vieles kritisieren. Er hat der Menschheit aber die industrielle Revolution und enorme, breite Wohlstandsgewinne gebracht. So gesehen ist die Aussage von Baerbock etwas unterkomplex.
Mit Rüdiger Bachmann sprach Jan Gänger
Quelle: ntv.de

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