Millionen Deutsche mussten 2020 in Kurzarbeit. Im Vergleich wurden nur wenige arbeitslos.
Die Corona-Krise ist furchtbar. Ökonomisch konnte immerhin vieles abgefedert werden – doch es gab auch Probleme.
Gastbeitrag von Achim Wambach
Man muss nicht so weit gehen wie der kanadische Wirtschaftsprofessor Joshua Gans, der von einem „Triumph der Ökonomen“ sprach. Aber es ist schon beindruckend, wie erfolgreich viele Regierungen in der Pandemie die wirtschaftliche Krise bekämpft haben. Eine Krise, die sich in eine viel tiefere und längere Rezession hätte steigern können. Allerdings zeigten sich auch Schwachstellen, aus denen Lehren gezogen werden müssen.
Noch ist die Krise nicht vorbei. Eine erste Einschätzung kann man dennoch schon geben. Am 9. März 2020 brach der Deutsche Aktienindex zum Handelsstart um 8,2 Prozent ein. So viel an nur einem Tag verlor der Dax zuvor am 11. September 2001, dem Tag der Terroranschläge in den USA. Ein Indikator für das Ausmaß der Krise war der Anstieg der Anzahl von Menschen ohne Arbeit. In Deutschland zeigte sich dies in der Kurzarbeitsstatistik: Waren Ende 2019 nur gut einhunderttausend Menschen in Kurzarbeit gemeldet, stieg diese Zahl im April 2020 auf rund sechs Millionen. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen in Kurzarbeit. In den USA, die kein solches Instrument haben, stiegen die Arbeitslosenzahlen von 5,8 Millionen im Februar auf mehr als 23 Millionen im April 2020. Durch die Lockdowns war die Nachfrage in einigen Sektoren wie der Gastronomie, Beherbergung und Unterhaltung abrupt gesunken. Gleichzeitig war die physische Abwesenheit der Arbeitskräfte eine Herausforderung für viele Unternehmen. Internationale Lieferketten waren gestört. Die Sorge vor einem tiefen Einbruch der Wirtschaft war groß. Die Stunde der Makroökonomen in den Regierungen, Zentralbanken und Beratergremien begann. Die Makroökonomie nimmt, wie der Name sagt, das große Ganze in den Blick, nicht einzeln die Akteure der Volkswirtschaft.
Achim Wambach ist Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, wurden insbesondere Maßnahmen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit eingesetzt, und das im großen Stil. Erfahrungen aus früheren Krisen halfen. So gab die Bundesregierung mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds von 600 Milliarden Euro ein deutliches Signal, dass sie bereit war, die Liquidität der Unternehmen zu sichern. Die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes machte deutlich, dass Durststrecken nicht auf Kosten der Arbeitskräfte erfolgten. Die mehrfach verlängerten Überbrückungshilfen sorgten dafür, dass auch kleinere Unternehmen, die teilweise massive Umsatzausfälle zu verzeichnen hatten, im Markt bleiben konnten. Die Europäische Zentralbank hat mit ihrem Pandemie-Notfallankaufprogramm in Höhe von 1850 Milliarden Euro entschieden reagiert und damit die Kreditkosten für Unternehmen und Staaten gesenkt. Fehler wie in der vorigen Krise – in der der Leitzins temporär angehoben wurde, um ihn dann wieder zu senken – traten nicht auf. Schließlich hat der europäische Aufbauplan „Next Generation EU“ in Höhe von 750 Milliarden Euro seinen Teil dazu beitragen, die europäischen Länder auf eine Wachstumsstrategie einzuschwören.
Unterm Strich ist Europa mit diesen Maßnahmen gut gefahren, besser als erwartet. Die Wirtschaft wächst wieder, die Aussichten sind positiv. Eine Euro-Krise, wie es sie im Nachgang zur Finanzkrise gab, ist ausgeblieben. Außerdem litt das Innovationsgeschehen in Deutschland nur wenig unter der Krise: Nach der Innovationserhebung des ZEW geht die Wirtschaft davon aus, dass die Innovationsausgaben für 2020 trotz der Corona-Krise nur um zwei Prozent zurückgegangen sind – während der Finanzkrise waren es elf Prozent.
Während die Antwort auf der Makroebene beeindruckend und meist unstrittig war, kann man Gleiches nicht für die Mikro- und operative Ebene sagen. Der Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick beschreibt in seinem Buch „Der entzauberte Staat“ eindringlich, wie Deutschland „durch die Krise stolperte“. Dazu gehören Probleme bei der Beschaffung von Masken und medizinischem Gerät sowie auf europäischer Ebene von Impfstoffen. Dazu kam der verzögerte, manipulationsanfällige und nicht immer zielgenaue Einsatz von Fördermitteln.
Nun ist die Krise in ihrer Art neu, sodass eine gewisse Lernkurve auch im staatlichen Handeln zu erwarten war. Umso wichtiger wird es sein, die Maßnahmen anschließend zu evaluieren, um ein besseres Verständnis zu gewinnen, was wirkt und was nicht. Erste Studien zur temporären Mehrwertsteuersenkung zeigen etwa, dass diese nicht nur bei Gütern des täglichen Konsums, sondern auch bei Gebrauchsgütern wie Möbeln und Haushaltsgeräten an die Kunden weitergegeben wurde. Viele hatten anderes erwartet und waren davon ausgegangen, dass Unternehmen für die sechs Monate der Steuersenkung die Preise nicht anpassen würden.
Für eine konsequente Evaluierung bedarf es politischen Willens. Nach der Finanzkrise wurde darauf verzichtet, zu evaluieren, ob die Maßnahmen insbesondere zur Stabilisierung des Finanzsektors angemessen und verhältnismäßig waren.
Auf zwei Punkte wird bei der Evaluierung der Corona-Politik besonders zu achten sein. Da ist zum einen die Bereitstellung von Daten. Fehlender Zugang zu Echtzeitdaten und die unzureichende Verknüpfung von Daten waren große Hindernisse bei der Krisenbekämpfung. So ist etwa immer noch unklar, wie hoch die Insolvenzraten und Marktaustrittsraten der Unternehmen sind. Die Regierung und die Banken, bei denen am Ende die geplatzten Kredite aufschlagen werden, tappen im Dunkeln. Studien zu Insolvenzen können zwar aus den historischen Daten Risikomaße ableiten, aber aufgrund des fehlenden Zugangs zu Echtzeitdaten keine genauere Analyse liefern.
Zum Zweiten ist der Einsatz der neuesten Methoden der Ökonomie in der Krisenpolitik ausbaufähig. Die Erkenntnisse des Marktdesigns hätten etwa bei der Impfstoffbeschaffung vermehrt genutzt werden können, bei den geplanten Pandemie-Bereitschaftsverträgen zur Sicherung von Impfstoff-Produktionskapazität in Deutschland wurde es besser gemacht. Verhaltensökonomische Erkenntnisse und Methoden wie Feldexperimente hätten beim Konzipieren der Lockdown-Maßnahmen oder der Impfkampagne verstärkt zum Einsatz kommen können.
Das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium und das Verständnis der Politik für die Bekämpfung von Wirtschaftskrisen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr verbessert. Mittlerweile ist vieles, was früher einmal strittig war, zum Allgemeingut geworden. Die Umsetzung von der Makro- auf die Mikroebene erfolgt jedoch nicht ohne Reibung. Auch hier sollten die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften vermehrt Einzug halten. Der Aufgabe muss sich aber das Fach auch selber stellen: Allzu häufig werden die Mühen der Ebene ignoriert, wenn wirtschaftspolitische Empfehlungen unterbreitet werden.
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