In Rücksendezentren der Online-Händler werden die Retouren kontrolliert und nach Kategorien sortiert.
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Wer online bestellt, lässt sich gern eine große Auswahl zuschicken. Die Händler müssen die Retouren aber teils aufwändig prüfen. Nur, damit ein Teil davon am Ende im Müll landet.
Der Online-Handel boomt. Kein Wunder, im Internet bestellen ist schnell und einfach. Sportschuhe, Spielkonsole oder Staubsauger in den Warenkorb packen, bezahlen – und ein paar Tage später wird das Wohnzimmer zur Umkleidekabine oder zur Teststation für das neue Elektrogerät. Was nicht passt, wird wieder eingepackt und zurückgeschickt.
Die Flut an Retouren nimmt immer weiter zu. Vergangenes Jahr haben wir 315 Millionen Pakete zurückgeschickt, schätzt die Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg, fast fünf Prozent mehr als im Jahr davor. Im Durchschnitt geht jedes sechste Paket zurück. Händler sprechen sogar von jedem fünften. Am häufigsten werden Kleidung und Schuhe zurückgeschickt.
Das sind riesige Mengen an Paketen, die bei den Online-Händlern eintrudeln. Retouren sind aufwändig für die Händler, sagt Alien Mulyk im Podcast "Wieder was gelernt". Sie ist Expertin für Retouren beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel. "Wenn es beispielsweise ein technisches Gerät wie ein Laptop ist, muss das eben auch innerlich geprüft werden, ob zum Beispiel mit der Festplatte alles in Ordnung ist."
Für die Unternehmen sind Retouren teuer. Sie kosten die Händler über fünf Milliarden Euro pro Jahr. Der größte Teil davon, über 80 Prozent, geht für Porto und Transport drauf. Teuer ist auch das Prüfen der Artikel. Jede Retoure kostet die Händler durchschnittlich zehn Euro, stellt Alien Mulyk klar. Wobei die Händler die kompletten Rücksendekosten schon von vornherein in den Verkaufspreis mit eingerechnet haben. Die Käufer bezahlen also die Retouren der anderen mit.
Die Prüfung zurückgegangener Artikel ist besonders bei elektronischen Geräten etwas aufwändiger als bei Kleidung, wo der optische Eindruck reicht. Dann wird sortiert: Sogenannte A-Retouren sind Rücksendungen, die wie neu sind und ohne Probleme sofort wieder verkauft werden können. Bei Kleidung kann das meiste gleich wieder zurück in die Regale. 80 Prozent der Hosen, Pullover oder T-Shirts werden direkt als Neuware weiterverkauft. Bei B-Retouren müssen kleinere Dinge ausgebessert werden, ein Knopf wird angenäht, es braucht eine Reinigung oder eine neue Verpackung. "Größere Unternehmen haben natürlich mehr Möglichkeiten, solche Aufbereitungen intern vorzunehmen. Ansonsten kann man da auch als kleineres Unternehmen mit Partnern zusammenarbeiten, die gegebenenfalls die Aufgabe für einen übernehmen können", erklärt Mulyk.
Dann gibt es noch C-Retouren, die kommen nicht wieder in den Handel, sie werden zum Beispiel nach Osteuropa oder Afrika geschickt. Waren der Kategorie D kommen so kaputt zurück, dass sie gerade noch gut genug sind für die Mülltonne. Alien Mulyk: "Da sprechen wir aber von einer Zahl, die im Promillebereich liegt." Jedes Jahr werden 20 Millionen Artikel vernichtet, das sind vier Prozent der zurückgeschickten Artikel, sagen die Forscher der Uni Bamberg.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Bekommt die Deutsche Bank ihr Geld von Donald Trump zurück? Warum bezahlen manche Berufspiloten Geld für ihren Job? Warum ziehen Piraten von Ost- nach Westafrika? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Am Umfang der Warenvernichtung – insbesondere bei den großen Online-Riesen – gibt es immer wieder Kritik. Amazon soll angeblich massenweise Neuware wegwerfen. Im Frühjahr hatte Greenpeace herausgefunden, dass der Logistikriese in Niedersachsen pro Woche mindestens eine LKW-Ladung neuer Ware zerstört, von T-Shirts über Bücher bis hin zu Elektroartikeln. Eigentlich gibt es seit dem vergangenen Jahr ein Gesetz, das es für die Händler schwerer macht, neue Artikel zu vernichten. Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz schreibt vor, die Waren "gebrauchsfähig" zu halten. Die Händler sollen ihre Produkte also reparieren, anstatt sie wegzuwerfen. Das liege jedem Händler sowieso am Herzen, weil es ihn sehr viel koste, wenn der Warenwert verloren gehe, erklärt Mulyk.
Im Kreislaufwirtschaftsgesetz fehlt aber noch eine wichtige Komponente, nämlich die Rechtsverordnung, die festlegt, dass Händler Strafen zahlen müssen, wenn sie sich nicht daran halten. Das sei ein "Schlupfloch für Konzerne wie Amazon", kritisiert Greenpeace. Amazon scheint aber so oder so auf Nummer sicher zu gehen und hat anscheinend seine Retourenvernichtung ins Ausland verlegt. Das Team Wallraff von RTL konnte bei einer Recherche Retouren mit einem eingebauten Tracker bis in ein Amazon-Werk in Polen verfolgen. Dort werden, wie es aussieht, Retouren und auch Neuware zerstört. Als Reaktion darauf teilte Amazon mit, Priorität sei es, die Waren wieder zu verkaufen, zu spenden oder zu recyceln. Sie wegzuwerfen sei das allerletzte Mittel. Auch die Bamberger Forscher finden die massenhafte Retourenvernichtung von Amazon nicht in ihren Daten wieder.
Wenn die Waren noch neu oder neuwertig sind, wäre es nachhaltiger, sie zu spenden. Doch das ist teurer, als sie einfach in den Müll zu werfen. Denn für Sachspenden an gemeinnützige Unternehmen sind 19 Prozent Umsatzsteuer fällig – pro Produkt. Sie zu vernichten kostet pro Artikel gerade mal 85 Cent. Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel fordert deshalb, dass die Steuer für Sachspenden komplett gestrichen wird. "Wenn Sie ein Produkt spenden, das den Warenwert 500 Euro hat, müssen Sie 19 Euro dafür bezahlen, dass Sie spenden können. Was eben dazu führt, dass Firmen auch nur einen gewissen Etat haben, von dem sie diese Spenden aufwenden können", sagt Mulyk.
Für Kunden ist die Möglichkeit von Retouren toll – für die Umwelt eher weniger. Dass so viele Kunden ihre bestellten Waren wieder zurückschicken, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie das in der Regel nichts kostet. "Über 90 Prozent der Kunden erwarten, dass die Retoure kostenfrei ist", sagt Mulyk. Nur bei einem kleinen Teil der Online-Unternehmen zahlen die Kunden das Rücksendeporto – 15 Prozent sind es laut einer Umfrage der Uni Bamberg. Knapp zwei Drittel der Unternehmen würden gern eine Rücksendegebühr einführen, können es sich aber nicht leisten, weil sie befürchten, dass die Kunden dann woanders bestellen. Und rund 40 Prozent bieten die kostenlose Retoure bewusst an, das sind vor allem die großen Händler mit einem Umsatz von über 50 Millionen Euro.
Könnte eine verpflichtende Rücksendegebühr helfen, den Retourenboom zu stoppen? Die Forscher der Uni Bamberg sagen: ja. Sie haben ausgerechnet: Wenn eine Rücksendung drei Euro kosten würde, dann würden die Menschen bewusster einkaufen – es gäbe 16 Prozent weniger Rücksendungen. Dass es davon weniger gibt, wollen auch die Händler. Sie versuchen deshalb, das Kleid oder den Kopfhörer möglichst originalgetreu darzustellen, mit detaillierten Beschreibungen zu Material und Größe und 360-Grad-Fotos. Das reicht aber nicht mehr aus, sagen die Wissenschaftler. Retouren könne man auch mit KI-basierten Methoden vermeiden, erläutert Alien Mulyk, zum Beispiel mit vorgeschlagenen Größenempfehlungen, Körpervermessungs-Apps oder Augmented Reality, "so dass man praktisch sehen kann, wie würde der Tisch in meinem Esszimmer aussehen". Eine weitere Möglichkeit seien Rabatte für die Kunden, die möglichst wenige Waren zurückschicken.
Dass weniger Dinge an die Onlineshops zurückgesendet werden, hat ausgerechnet die Corona-Pandemie geschafft. Obwohl die Menschen während dieser Zeit viel mehr online bestellt haben, da die meisten Läden geschlossen hatten, haben sie zehn Prozent weniger Bestellungen zurückgeschickt. "Die Kunden waren zu Hause, die hatten mehr Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Haben mehr recherchiert, welches Produkt wirklich zu ihnen passt, und dementsprechend ein sehr viel überlegtere Bestellung getätigt", erläutert Alien Mulyk. Brauche ich das wirklich – diese Frage sollten wir uns vielleicht alle öfter stellen, wenn wir online einkaufen.
Quelle: ntv.de