Ein Bündnis fordert, Reiche höher zu besteuern. Damit wollen sie auch der Lobbyarbeit durch Familienunternehmen den Kampf ansagen.
Ein Bündnis von NGOs hat eine Petition für die höhere Besteuerung von Reichen gestartet. Unter dem Motto „Rückspiel: Steuerprivilegien kippen“ sollen sich Bürger:innen „für eine faire Besteuerung“ stark machen, wie das Netzwerk Steuergerechtigkeit, die Bürgerbewegung Finanzwende und die Millionärs-Initiative #taxmenow am Freitag mitteilten.
In den vergangenen 30 Jahren seien im Steuerrecht „viele Ausnahmen für reiche Personen geschaffen“ worden, beklagten die drei Organisationen. Allein die zehn wichtigsten Steuerprivilegien kosteten den Staat jedes Jahr mindestens 80 Milliarden Euro. „Diese Einnahmen fehlen vor dem Hintergrund der hohen Ausgaben im Rahmen der Pandemie.“
Konkret fordern die Initiatoren Änderungen in zehn Bereichen. Unter anderem sollen demnach Ausnahmen von der Erbschaftsteuer für Reiche abgeschafft werden. Ein Beispiel dieser Ausnahme gilt für Wohnungsunternehmen mit mehr als 300 Wohnungen.
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Immobilienvermögen in dieser Größenordnung wird vergünstigt bis steuerfrei an Nachfolger:innen übertragen. Wer weniger Wohnungen vererbt, zahlt Steuer. Dieses Privileg wurde durch die Erbschaftssteuerrichtlinie des Bundesfinanzministeriums Ende 2019 legalisiert, obwohl der Bundesfinanzhof diese als verfassungswidrig eingestuft hatte.
Weiterhin fordert das Bündnis, Wertzuwächse bei Immobilien nicht mehr steuerfrei zu behandeln und eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, „damit Umsätze mit Wertpapieren wieder besteuert werden“.
„Zu oft entscheiden Herkunft und Erbe über Lebenschancen und Einfluss“, beklagte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Die durch die vorgeschlagenen Reformen entstehenden Mehreinnahmen „könnten wir dazu nutzen, um für bezahlbaren Wohnraum oder bessere Bildung zu sorgen oder auch die Steuern für alle zu senken“.
Auch die Millionärserbin Stefanie Bremer* setzt sich als Teil der Initiative #taxmenow für mehr Steuergerechtigkeit ein. In der Initiative haben sich 36 Millionär:innen aus Deutschland und Österreich zusammengeschlossen, die höhere Abgaben auf Millionen- und Milliardenvermögen fordern.
“Menschen wie ich werden durch das Steuersystem begünstigt und können unser Vermögen immer weiter vermehren”, erklärt Bremer. Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung halten über 65 Prozent des Vermögens – sie gehöre dazu. Bremer empfinde es jedoch als falsch als Einzelperson darüber zu entscheiden, wie sie das Geld investiert und spendet.
“In einer Demokratie sollte die Mehrheit, an der sich alle beteiligen können, darüber entscheiden, wohin das Geld geht”, sagt die 32-Jährige. Schlussendlich profitieren alle von Bildung und Infrastruktur, auch ein Unternehmen wie das ihrer Familie.
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Doch gerade diese nehmen laut den NGOs starken Einfluss auf die Steuerpolitik. Das Bündnis möchte mit seiner Aktion auf die Lobby “des großen Geldes” aufmerksam machen. Dafür haben die Organisatoren ihre Präsentation am Freitagmorgen auch mit einer Protestaktion gesorgt.
Vor dem Haus des Familienunternehmens hatten sie Steuerprivilegien bildlich als beschriftete, rote Dominosteine aufgebaut und dann buchstäblich “zum Kippen” gebracht. Vor Ort erklärte Lena Blanken, Kampagnenleiterin bei Finanzwende: “Die Lobby des großen Geldes hat das Hinspiel gewonnen. Wir treten nun das Rückspiel an.”
Dieses Hinspiel habe er selbst erlebt, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende und ehemaliger Grünen-Finanzpolitiker. “Familienunternehmer umwerben Politiker aller Parteien heftig und setzen so sukzessiv ihre Interessen durch.”
Das Resultat seien Ausnahmen wie bei der Erbschaftssteuer. “Bei Hartz4 wird genau hingeschaut und jeder Cent zurückgeholt”, mahnt Schick. Bei Fällen wie CumEx agiere der Staat “merkwürdig zurückhaltend”.
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Familienunternehmen, Albrecht von der Hagen, zeigte sich irritiert, dass die Initiatoren ausgerechnet den Mittelstand mit ihrer Petition angreifen wollen. “Denn die Erbschaftsteuer ist eine Belastung, die nur Familienunternehmen trifft und nicht anonyme Konzerne.”
Werde Betriebsvermögen vererbt, profitieren von der Verschonung in erster Linie die Menschen, die in dem Betrieb beschäftigt seien, sagt von der Hagen. Auf vererbtes Betriebsvermögen müsse eine Steuer entrichtet werden.
„Es sei denn, die Lohnsumme, also der Gesamtbetrag, der jährlich an die Mitarbeiter gezahlt wird, bleibt auch nach dem Generationenwechsel auf einem konstanten Niveau“, erklärt der Hauptgeschäftsführer weiter. „Nur wenn ein Unternehmer seinen sozialen Beitrag leistet, erhält er vom Staat eine Verschonung.“
Zudem gab der Hauptgeschäftsführer an, das Bundesverfassungsgericht habe 2014 explizit festgestellt, dass “Familienunternehmen durch den Erhalt von Arbeitsplätzen eine besondere Bedeutung für das Gemeinwohl haben und daher die Verschonung gerechtfertigt ist.”
Mit der Aktion wollen die Organisatoren schon während des Bundestagswahlkampfs auf die Problematik aufmerksam machen, damit die Forderungen in den künftigen Koalitionsverhandlungen Gehör finden.
Schick stellt klar: “Es gilt, das gesellschaftliche Kräfteverhältnis so zu ändern, dass sich die künftige Bundesregierung dem großen Geld entgegen setzen kann.” (mit AFP)
*Bremer tritt in der Öffentlichkeit unter einem Pseudonym auf.

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