Die Preise sind im Keller, die Lager sind voll. Die Unionsfraktion fordert Sonderangebote im Supermarkt, Agrarministerin Julia Klöckner ist dagegen.
In einem sind sich Schweinehalter und Politik einig: „Die wirtschaftliche Situation der Schweinehaltenden Betriebe ist dramatisch“, sagt Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). „Die ruinöse Situation in der Schweinehaltung hat ein Ausmaß angenommen, das ich mit über vier Jahrzehnten Erfahrung als Schweinehalter so noch nicht erlebt habe“, berichtet Heinrich Dierkes, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN).
20 Euro bekommt ein Sauenhalter für ein Ferkel, 1,25 Euro erhält ein Schweinemäster pro Kilo Schwein. Ende 2019 waren es fast zwei Euro. Der Preisverfall hat viele Gründe: China nimmt wegen der Afrikanischen Schweinepest kein Schweinefleisch (ASP) aus Deutschland mehr ab, die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Würstchen und Schnitzeln innerhalb Deutschlands gedämpft. Restaurants waren lange geschlossen, Kantinen arbeiten wegen der vielen Menschen im Homeoffice nur mit halber Kraft, Volksfeste fallen aus. Der kalte Sommer hat die Lust am Grillen gebremst.
Und vielen Bundesbürgern ist aus gesundheitlichen und ethischen Gründen ohnedies der Appetit auf Schweinefleisch vergangen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist in den vergangenen 20 Jahren um 17 Prozent auf 45,5 Kilo im Jahr gesunken. Gleichzeitig sind die Preise für Tierfutter wegen der schlechten Ernte um ein Drittel gestiegen.
Für die Erzeuger ist das bedrohlich: Aktuell belaufen sich die Verluste pro Schwein auf etwa 60 bis 70 Euro, heißt es bei der ISN. „Mit jedem Tag, den die Krise andauert, steigen immer mehr meiner deutschen Berufskollegen aus der Schweinehaltung aus“, bedauert ISN-Chef Dierkes. „Es muss schnell etwas passieren“.
Was passieren soll, hat Klöckner am Mittwoch auf einem Krisengipfel in Bonn mit Vertretern der Landwirte, der Fleischverarbeiter, des Lebensmittelhandels und ihren Parteifreundinnen, den Agrarministerinnen von Niedersachsen, Barbara Otte-Kinast, und Nordrhein-Westfalen, Ursula Heinen-Esser, erörtert. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stehen für 60 Prozent der Schweineproduktion in Deutschland.
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Schweinehaltern, so das Ergebnis des Gipfels, soll finanziell geholfen werden. Überbrückungshilfen können bis Ende Dezember beantragt werden statt wie ursprünglich geplant Ende Oktober auszulaufen. Niedersachsen stellt finanziell angeschlagenen Landwirten zudem Steuerstundungen oder gar einen Erlass der Steuerschuld in Aussicht.
Der Rest sind Absichtserklärungen: Klöckner will sich bei der EU-Kommission für höhere Beihilfen einsetzen. Zudem versucht das Ministerium, China doch noch zum Kauf deutscher Schweineohren und -schwänzchen zu bewegen – aber wohl mit wenig Aussicht auf Erfolg.
Stilllegungsprämien für Schweinehalter, die sich aus dem Geschäft zurückziehen wollen, wird es nicht geben, erklärte Klöckner. Das sei ein „falsches Signal“ an die Junglandwirte. Otte-Kinast sieht das anders. Sie befürchtet, dass die ASP, Corona und die veränderten Ernährungsgewohnheiten dazu führen, dass auch in Zukunft weniger Schweine verkauft werden.
Schon jetzt sind die Lager voll: 260.000 Tonnen Schweinefleisch sind derzeit dort gebunkert, doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Der Lebensmittelhandel hat in den vergangenen Monaten ein Viertel weniger verkauft – quer durch alle Haltungsformen von billig bis bio. „Wir haben keine Lust, an den Pranger gestellt zu werden, wenn wir Sonderangebote für Fleisch machen“, sagt ein Handelsvertreter dem Tagesspiegel. Gemeint ist Bundesagrarministerin Klöckner, die im Bundestag Prospekte mit Sonderangeboten von Fleisch in die Höhe hielt und den Supermarktketten vorwarf, Fleisch zu verramschen.
Doch jetzt dreht sich der Wind. Die Schweinehalter wünschen sich Rabattaktionen, damit sie die schlachtreifen Schweine, die sich in den Ställen stauen, los werden. Hinzu kommt, dass alle großen Lebensmittelketten – aus Solidarität zu den Landwirten – derzeit im Einkauf mehr für das Fleisch zahlen als sie müssten.
Für die Agrarministerin wird die Lage ungemütlich. Denn Druck kommt jetzt auch aus der eigenen Partei. In einem Brief an Klöckner fordern die einflussreiche Vizechefin der Unionsfraktion, Gitta Connemann, der Chef der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft, Albert Stegemann, und die Tierschutzbeauftragte der Fraktion, Silvia Breher, Abverkaufsaktionen.
Da der Handel befürchte, dann wieder Ziel von Protestaktionen zu werden, „bitten wir darum, auch seitens des BMEL von Interventionen abzusehen“, heißt es in dem Schreiben. Die Nerven liegen in der Fraktion bloß. Denn Umfragen zufolge verliert die Union derzeit mit den Bauern ihre traditionellen Kernwähler, diese laufen zur FDP über. Aldi Nord und Süd kündigten am Mittwoch umgehend „zusätzliche Aktionsartikel zu einem günstigen Preis“ an.
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Der Ruf nach Billigpreisen durchkreuzt Klöckners Strategie, den Umbau der Tierhaltung mit Hilfe von staatlichen Fördergeldern voranzutreiben. Unterstützung bekommt sie von Heinen-Esser. Ein Verramschen würde alle Initiativen für faire Preise obsolet machen, warnt die NRW-Ministerin.
Einig ist man sich allerdings darin, dass deutsche Produkte besser vermarktet werden sollen: Fleisch von in Deutschland geborenen, aufgezogenen, geschlachteten und verkauften Tiere soll vom Handel besonders gekennzeichnet und beworben werden.